Rechts ist da, wo der Daumen links ist – ein lustiges Sprüchlein. Wenn man die Hand dann um 180 Grad dreht, ist der Daumen plötzlich rechts statt links und man ist so schlau wie zuvor. Oder verwirrt. So wie ich meistens, wenn ich nach dem Weg suche. Mein Orientierungssinn ist scheußlich. Zugegebenermaßen ist es etwas besser geworden als früher. Aber nicht, weil ich erfolgreich an mir gearbeitet habe (…ich habe es versucht, aber es hat nichts geholfen…), sondern dank mobilem Internet, Navigationsapps und meiner mittlerweile sehr geringen Scheu davor, fremde Menschen nach dem Weg zu fragen.
Neulich wurde ich in einem Wartebereich von einem dieser Wandkalender, die einen mit ihren enorm tiefgründigen Sprüchen unter total überbelichteten Landschaftsbildern quasi anschreien, auf Folgendes hingewiesen:
„Eine eingestandene Schwäche wird zur Stärke.“ Fritz P. Rinnhofer (1939 – 2020)
So. Nach einiger Zeit Angesicht in Angesicht mit diesem Kalenderblatt, reichlich Eingeständnis und tiefer Reflexion meiner Schwäche, habe ich nun ganze sechs Stärken ableiten können. Ich hoffe sehr, dass durch die folgende Aufzählung auch andere Wegsuchende da draußen zu der Erkenntnis ihrer vorhandenen Stärken inspiriert werden:
- Wege werden zu Abenteuern. Ganz nach dem Motto „Der Weg ist das Ziel“ habe ich die Möglichkeit viel Weg zu genießen, während andere schnell und langweilig ihr Ziel erreichen. Tatsächlich hätte ich höchstwahrscheinlich nie so viele Vorgärten in abgelegenen Straßen verschiedenster Städte betrachten können, wäre ich direkt an meinem Ziel angelangt.
- Meine Freunde kommen an Orte, die sie niemals zuvor besucht hätten. Gut, sie hätten manche dieser Orte vermutlich auch niemals besuchen wollen, aber das klammern wir jetzt einfach mal aus. Wer erlebt denn auf dem sonst wirklich unspektakulären Weg zu einer Geburtstagsfeier eine spannende Abfahrt mit dem Stadtrad durch den Wald, und das alles auch noch in Verbindung mit einer Abkürzung?
- Mich kann man sehr einfach loswerden. Nervenden oder nörgelnden Kindern sagt man manchmal, dass man sie aussetzt, wenn sie jetzt nicht mit dem Jammern aufhören. Ich nerve? Kein Problem. Mich kann man aussetzen, eigentlich egal wo, sogar in der Stadt, in der ich großgeworden bin. Es genügt hierbei übringes bereits, in eine Straße von der anderen Seite einzufahren.
- Ich komme mit fremden Menschen ins Gespräch. Mit Einheimischen in Kontakt zu treten gehört zu meinen schönsten Reiseerfahrungen. Kultur, Mentalität und Interesse sind hierbei von Belang. Interesse spielt allerdings eine besonders große Rolle. Nämlich das Interesse nach dem Weg. Auch im Inland kann ich das übrigens sehr gut. Es ist nebenbei bemerkt immer wieder spannend zu erleben, wie schlecht manche Menschen im Beschreiben des Weges sind. Es kann ja schließlich nur daran liegen und nicht an mir, dass ich meist an der übernächsten Straßenecke wieder genauso verloren bin wie einige hundert Meter zuvor.
- Ich wachse mit den Herausforderungen. Oder auch bei jedem Scheitern lerne ich etwas dazu. Bezüglich meiner Wege scheitere ich oft, daher müsste ich mittlerweile ähnlich allwissend sein wie das südliche Orakel oder mindestens so schlau wie Hermine Granger. Bin ich aber nicht, aber vielleicht auf einem guten Weg. Glaube ich. Jedenfalls weiß ich genau, wie man sich selbst motiviert, anstatt sich über sich selbst zu ärgern. Das bringt einen nämlich nicht weiter und schon gar nicht wieder nach Hause.
- Ich erfreue mich an den kleinen Dingen des Lebens, wie eine Straße wiederzuerkennen, den direkten Weg ohne Navi zu finden, mit einer Abkürzung erfolgreich den Weg zu verkürzen oder sich einfach mal nicht zu verlaufen: Hallo Glücksgefühl! Die kleinen Erfolge zu feiern und stolz zu sein auf das, was man geleistet hat – Das macht gute Laune! Und falls ich doch mal wieder vollkommen verloren bin, dann werde ich mir das in Zukunft einfach eingestehen… und schon kann ich gestärkt nach dem Weg fragen.
Eine schöne Sicht der Dinge! Sollten wir nicht alle öfters nach dem Weg fragen? Vielleicht würden wir ja dann mehr miteinander statt nebeneinander leben…
Vielen Dank für deine Worte. Vielleicht könnte aus miteinander sogar auch füreinander entstehen.
Sehr schöner Text!
In der heutigen Zeit würde es uns vermutlich allen gut tun mehr Positives im Negativen zu sehen, zum Beispiel, dass man dann direkt was zu erzählen hat, wenn man auf der Geburtstagsfeier ankommt.
Dankeschön! Darauf ist mein Glas direkt halb voll! 😉
Eine sehr inspirierende und lusitige Art die eigenen Schwächen als Stärken zu betrachten 😉
Sehr unterhaltsam geschrieben 🙂