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Frauentisch

In meiner frühen Jugend kam das Buch auf den Markt mit dem Titel „Nein, ich möchte keinen Seniorenteller“. Damals dachte ich mir in meiner jugendlichen Überheblichkeit, ok, bis ich auf solche Weise stereotypisch übergriffig behandelt werden würde, bleiben mir noch viele, viele Jahre.

Die Erfahrung, welche den Anlass für diesen Beitrag geliefert hat, machte ich jedoch nicht 60 Jahre später, sondern lediglich zehn. Auf der Geburtstagsfeier eines guten Freundes in der Heimat wurde ich nach der Begrüßung und der Ausstattung mit einem Kaltgetränk mit dem Satz „Da – bei diesem Tisch kannst du dich dazusetzen.“ zu einem speziellen Platz gelotst. Etwas pikiert, aber in diesem Fall der Höflichkeit geschuldet, nahm ich Platz und begrüßte die Anwesenden. Nach einem Blick in die Runde, fiel mir eine große Gemeinsamkeit der Sitzenden auf: Weiblichkeit. Denn am Tisch lächelte mir ausschließlich die weibliche Fraktion der Party entgegen. Ich sah in die Gesichter aller versammelter Freundinnen der anwesenden Männerschar. Weiter nicht schlimm, dachte ich mir, habe ich ja schließlich auch viele Freundinnen, mit denen man äußerst gut einen drauf machen kann. Diese optimistische Haltung hielt ich tapfer aufrecht, bis die erste der Damen fragend lächelnd auf das Kaltgetränk in meiner Hand deutete und fragte: „Trinkst du etwa Bier?“

Meine Damen und Herre…(oder weitere Damen in diesem Fall), willkommen am Frauentisch. Der Frauentisch ist ein Phänomen, das sich bereits in der Kindergartenzeit und im frühen Grundschulalter manifestiert. Ab dann, wenn Jungs bäh werden und außerdem total doof. Es ist überaus spannend zu beobachten, dass sich geschlechtsheterogene Gruppen bis weit in die siebte Klassenstufe hinein vollkommen separiert setzen, sobald sie die freie Platzwahl haben. In manchen Gruppen tritt diese klare Geschlechtertrennung so ausgeprägt auf, dass gemischte Gruppenarbeiten zu Ekelattacken und Nervenzusammenbrüchen führen können. Setzt dann die Pubertät mit voller Wucht ein, ändert sich das schlagartig. Ins andere Extrem. Dann hört man nervöses Kichern und lautes Johlen, kaum, dass eine gemischte Gruppenarbeit verkündet wird. Auch ansonsten vermischen sich die Geschlechter mit zunehmendem Alter gewissermaßen exponentiell.

Umso verwunderlicher ist doch, dass erwachsene Menschen diese Trennung voller Begeisterung wieder aufnehmen und sich auf Ausflügen, Partys und sonstigen Gruppenevents in Männlein und Weiblein separieren lassen. Als ich meine Erkenntnis bei meinen männlichen Freunden ansprach, kam die Aussage: „Sei doch froh, man unterhält sich doch sicher besser nur unter Frauen“ – bei „nur unter Frauen“ veränderte sich die Stimmlage und die Gesichter verzogen sich zu einer Grinse-Grimasse. Ja, das stimmt, ich unterhalte mich sehr gerne und gut mit Frauen, vor allem dann, wenn ich meine Unterhaltungspartnerinnen selbstständig gewählt habe. Und da sind wir schon bei der Kernproblematik des Frauentisches angekommen. Das was mich an dieser Trennung stört, ist nicht die Tatsache, dass Frauen miteinander an einem Tisch sitzen und sich unterhalten. Denn dazu kann ich nur sagen, dass ich das wirklich gerne mag – ein Hoch auf all die tollen Frauen in meinem Leben! Was mich stört, ist die Annahme, dass man nun mal auch am Frauentisch zu sitzen hat, wenn man nun mal eine Frau ist. Was mich stört, ist das Klischee, dass Frauen mit Frauen reden sollten, weil die ja die gleichen Themen haben. Was mich stört, ist das abgestellt werden am Frauentisch, der mich zugegebenermaßen schon immer etwas an den Kindertisch erinnert hat. Wie wäre es, wenn man mir die freie Platzwahl und damit die Wahl der Gesprächspartner:in selbst überlassen würde? Schließlich darf ich ja auch schon eine ganze Weile alleine ein Kraftfahrzeug führen. Was, wenn ich mich auch zu Beginn des Festes mit den männlichen Anwesenden viel lieber unterhalten würde, weil mir diese in diesem Moment möglicherweise einfach sympathisch sind?

Zurück zu meinem Frauentischdilemma auf der Geburtstagsparty. Meine damalige bejahende Antwort war aus jetziger Sicht sehr zögerlich, da mich die Frage verwirrte und ich mich offensichtlich ausgegrenzt fühlte. Warum manche Frauen das machen verstehe ich bis heute nicht. Denn in ihrer Frage schwang der offene Tadel mit, warum ich denn jetzt meine, Bier trinken zu müssen, wenn keine Frau hier Bier trinkt. Kaum verwunderlich, dass ich sehr schnell wieder von diesem Tisch verschwunden bin und ich kann mit Gewissheit sagen, dass ich mich seitdem nie wieder an einen Frauentisch habe setzen lassen. Wenn, dann habe ich mich völlig frei für den Frauentisch entschieden.

Abschließend möchte ich alle sich fehl am Platz fühlenden Frauen an Frauentischen dazu auffordern: Wechselt den Tisch. Es ist vollkommen ok!

In diesem Sinne: „Ja, ich trinke Bier.“

Dieser Beitrag hat 6 Kommentare

  1. C.

    Super Artikel! Ich seh dich genau da stehen, vor dem Frauentisch mit deinem Bier! Und du sprichst mir aus der Seele 😄 mit viel Humor aber es trifft es auf den Punkt! Danke 🧡

    1. Lisa

      Danke, dir! Das freut mich sehr. 🙂

  2. S.

    Herrlich unterhaltsam und lebendig geschrieben, ich hatte das Gefühl direkt dabei zu sein.
    Lasse Dir das Bier weiterhin schmecken.
    Liebe Grüßlis und ein Prosit!

    1. Lisa

      Deine Worte freuen mich sehr – herzlichen Dank und ja, das werde ich 🙂

  3. L.

    Genau so sieht es aus! So oft habe ich mich genau so gefühlt. Ich werde mich auch nicht mehr an einen Frauentisch setzen lassen – danke für den inspirierenden Artikel!

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